BÖBLINGEN. Glück und Pech, Licht und Schatten liegen oft ganz dicht beieinander. Die Fußballabteilung der SV Böblingen führte ihre Jahreshauptversammlung am Donnerstagabend im Freien durch. Coronabedingt. Am vielleicht letzten sommerlich warmen Abend des Jahres, dafür im strömenden Regen. Immerhin war das Dach der Tribüne dicht, sodass alle rund 45 Anwesende im Trockenen saßen. Auch wenn Jugendleiter Detlef Büttner dem ebenfalls anwesenden Sportamtsleiter Josef Fischer mit auf den Weg gab, dass sich das Stadion in einem “jämmerlichen Zustand” befindet. “Die Duschen sind nach wie vor defekt, die Situation hat sich sogar noch verschlimmert.” Er forderte “mehr Unterstützung aus dem Rathaus”, Fischer versprach, das Anliegen voranzutreiben.

Stellenwert in der Stadt: Zuvor schon war das geschäftsführende Vorstandsmitglied der SVB, Dr. Alexander U. Kayser, auf eine ähnliche Linie, wenn auch konzilianter, eingeschwenkt. “Die Fußballabteilung wird 115 Jahre alt, so lange schon macht sie Werbung für Böblingen.” Und mit Nachdruck: “Das ist noch nicht allen in der Stadt und auch nicht jedem Unternehmen klar.” Als Beispiel führte er die herausragende Jugendarbeit ins Feld, “wofür man sich die Sozialpädagogen in den Jugendhäusern sparen kann”. Dieses Geben und Nehmen zeigt sich auch in der Integration von Geflüchteten über den Fußball. “Wir können Brücken bauen zu Sponsoren, bei der Vermittlung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen mithelfen, dafür sorgen, dass diese Menschen im Schwabenländle ankommen.” Für ihn sind diese kleinen, oft nicht sichtbaren Erfolge eine “riesige Triebfeder”, um sich ehrenamtlich in diese Aufgabe zu verbeißen, die in vielen Bereichen immer noch angeschlagene Abteilung wieder flott zu bekommen. Kaysers selbstbewusste Betrachtung des eigenen Stellenwerts: “Wir sind eine Bereicherung und schaffen einen Mehrwert für die Stadt.”

Lauter kluge Köpfe: Vor einem Jahr zog Alexander Kayser das erste Mal Zwischenbilanz, hatte schon einmal eine neue Geschäftsordnung aufs Gleis gesetzt. Jetzt, zwölf Monate später, ist die Abteilung wieder ein ganzes Stück weiter, wenn auch “noch lange nicht in ruhigem Fahrwasser”. Erste Maßnahmen: die klare Trennung der drei Bereiche Männer, Frauen und Jugend, das Forcieren von neuen Strukturen, um einen ordentlichen Spielbetrieb zu gewährleisten, die Installation von neuen Köpfen in der Leitung. Was rückblickend bei den Aktiven gelungen ist, die zunächst im Fokus standen. Mit Thomas Hahn (Personal), Kornelije Casni (Marketing), Matthias Hahn (Finanzen und zweite Mannschaft) sowie Calvin Rapp (Sponsoring) ist die SVB inzwischen sehr gut aufgestellt, nachdem sich zuvor Dominik Mast einen Einblick in die verschiedenen Kassen verschaffte, Zahlungsströme aufarbeitete und damit für eine hundertprozentige Transparenz in Sachen Ein- und Ausgaben sorgte. “Troubleshooting”, nennt Kayser das Ganze – der systematische Ansatz, um Probleme zu beheben. Erst kürzlich diskutierten sie alle zusammen sechs Stunden lang über den Haushaltsplan für die aktuelle Saison – “da ging’s mitunter auch hitzig zu”. Werbefachmann Casni baut die Social-Media-Kanäle aus, Rapp kümmert sich um Verträge, Werbeflächen und das Netzwerken der Sponsoren untereinander. “Damit sind wir perspektivisch sehr viel weiter und auf dem Weg, wo wir auch sportlich einmal hinwollen”, so Kaysers Blick in die Zukunft, die derzeit noch Landesliga heißt.

Das leidige Thema Finanzen: So gut sich das alles anhörte, “man muss die Kirche im Dorf lassen”, schränkte Alexander Kayser wieder ein. Der coronabedingte Saisonabbruch traf die SVB-Fußballer mit voller Wucht. Rücklagen gab es keine, “der Wiederaufbau wurde in den Kinderschuhen abgewürgt”. Keine Spiele, Stille im Stadion. Und das über mehrere Monate. “Positiv: “Wir konnten uns mehr um die Strukturen kümmern.” Negativ: Mit der anvisierten schwarzen Null wurde es wieder nichts, die vergangene Runde ergab einen Fehlbetrag von 18 008 Euro, der den ohnehin nicht kleinen Schuldenberg weiter vergrößerte. “Das zermürbt uns nicht”, so Kayser kämpferisch, “der Trend stimmt mich zuversichtlich.” Denn in den Jahren davor gab’s jeweils ein Minus von 30 000 Euro. Dass es diesmal nicht wieder so groß ausfiel, war vor allem auch den Spielern und Trainern zu verdanken, die auf vieles verzichteten. Trotzdem schaut natürlich auch der Hauptverein mit Argusaugen auf die finanzielle Entwicklung. “Wir rücken zusammen”, verdeutlichte Vereinsmanager Harald Link, dass die Abteilung noch Spielraum hat. “Sie ist uns wichtig als Zugangssportart für Aktive sowie Zuschauer.” Und in Richtung Alexander Kayser, den Kümmerer in Sachen Fußball: “Ohne ihn hätten wir wichtige Schritte, die zwangsweise notwendig waren, nicht hinbekommen.” Unstrittig ist aber auch, “dass der Umsatz nach oben gehen muss”. Knapp 70 000 Euro betrug er in der abgelaufenen Spielzeit. “Damit stehen wir im Vergleich zu den anderen Vereinen in der Landesliga auf einem Abstiegsplatz”, vergleicht Kayser. “Die Situation ist weiterhin prekär, aber die Richtung ist positiv und befeuert unsere Mannschaften zusammen mit einem wieder wachsenden Zusammengehörigkeitsgefühl.”

Dauerbrennerin mag nicht mehr: Die SVB-Frauen haben in dieser Runde nur noch ein Team in der Regionenliga am Start – und müssen außerdem ohne ihre seit 2007 im Amt befindliche Dauerbrennerin Evelyn Klumpp auskommen, die schon vor einem Jahr fast resignierte, vom “Tiefpunkt” sprach, an dem sie angelangt war, dann aber doch noch einmal den Spielbetrieb “mit einem unbeschreiblichen Engagement” (Kayser) auf die Beine stellte. “Der Übergang ist jetzt einfach notwendig, um uns zukunftsfähig aufzustellen”, weiß das geschäftsführende Mitglied aus dem SVB-Vorstand um die vakante Führungsposition. Immerhin ergab sich finanziell ein kleines Plus von 500 Euro. Im Gegensatz zum SVB-Nachwuchs, bei dem ein vergleichsweise kleines Minus von 8400 Euro entstand. Bei einem Budget von über 100 000 Euro, das damit weitaus höher liegt als bei den Aktiven. Für Jugendleiter Detlef Büttner kein Grund zur Sorge. Viel mehr treibt ihn die Suche nach Ehrenamtlichen um, beispielsweise konnte keine U18 gemeldet werden, weil der dafür vorgesehene Trainer kurzfristig absagte. Sportlich kann sich die Bilanz – wieder einmal – sehen lassen. “Durch die Einführung der Landesstaffel haben wir jetzt noch mehr Mannschaften auf Verbandsebene.” Auch die Aktiven-Teams profitieren vom gesunden Unterbau. Talente stehen auf dem Sprung, sollten aber auch gehalten werden.

Noch kein neuer Abteilungsleiter: Punkt sieben auf der Tagesordnung war die Wahl des Abteilungsleiters und – nach dem Ausscheiden von Dieter Schneider, der über viele Jahre an vorderster Front den Kopf hinhalten musste – die seines Stellvertreters. “Bei dem Thema sind wir bisher immer rumgeeiert”, gab Alexander Kayser zu. Inzwischen gibt’s ein klares Profil. “Wir suchen nicht jemanden, der im Männerbereich das Sagen hat oder dort den großen Zampano spielen will, sondern jemanden, der zwischen den drei Bereichen vermittelt, sie auch zu steuern vermag.” Kandidaten? Gab’s keine, die Suche geht weiter. Wobei Kayser auch klarstellte: “Sind wir damit kopflos? Es funktioniert trotzdem, weil derzeit eben bei mir die Fäden zusammenlaufen. Optimal ist das aber nicht.” Irgendwann wird auch er sich vielleicht entscheiden müssen – zwischen Fußball und seiner Rolle im Vorstand des Hauptvereins. Was ihm ebenfalls am Herzen liegt: “In der Vergangenheit wurde alles so hingenommen, niemand hat kritische Fragen gestellt. Die muss es aber im Sinne einer offenen Diskussionskultur geben.” Ohne eine immerhin kurze Aussprache entließ er die Mitglieder deshalb nicht in die Nacht. Das Schlusswort gebührte aber Sportamtsleiter Josef Fischer: “Ich kann für mich mitnehmen, es geht ermutigend nach vorne.”

krzbb.de, Von Michael Stierle, Artikel vom 25. September 2020