Eine Pionierin des Frauenfußballs, auch bei der SV Böblingen: Das Archivfoto aus dem Mai 2006 zeigt Evelyn Klumpp beim ersten Schnuppertraining für Mädchen im Stadion an der Stuttgarter Straße – am Anfang kamen nur sieben Kickerinnen, ein paar Monate später waren es schon 100 Foto: Archiv
Hallo Frau Klumpp, wissen Sie noch, was Sie am 31. Oktober 1970 gemacht haben?
(lacht) Keine Ahnung, aber wahrscheinlich Fußball gespielt.
Das war der Tag, an dem in der Bundesrepublik Deutschland nach 15-jährigem Verbot der Frauenfußball wieder offiziell vom DFB-Parteitag erlaubt wurde.
Ich weiß. Wir sind aber auch davor schon rumgeturnt und haben Spiele gemacht, obwohl es untersagt war. Gott sei Dank haben sich nicht alle an das Verbot gehalten. Auf der Gasse ja sowieso, aber wir haben auch schon ein Jahr lang offizielle Spiele gemacht. Im September 1969 haben wir zum ersten Mal in der Vereinsmannschaft gespielt. Und wir hatten irre viele Zuschauer. Mehr als heute. Aber die Männer haben sich, glaube ich, nicht so sehr für unsere Fußballkunst interessiert, sondern sich etwas anderes erhofft. (lacht) Das war faszinierend.
Erinnern Sie sich an Ihre prägendsten Erfahrungen mit König Fußball?
Ganz klar, da war das Wembley-Tor ausschlaggebend. Ich lebte im Margaretenheim in Stuttgart, war im Teenager-Alter. Die Heimleiterin hat das WM-Spiel Deutschland gegen England im Fernsehen angemacht. Im Nachhinein wundert es mich, dass sie das zur damaligen Zeit getan hat. Vielleicht lief ja nichts anderes. Jedenfalls war es ganz spannend, und wir haben uns wegen dem Betrug und der Ungerechtigkeit tierisch aufgeregt. Das alles hat mich so fasziniert, dass ich gesagt habe, das will ich auch unbedingt machen. Das war also sehr prägend für mich.
Und die aktive Ausübung?
Da war ein Rasenplatz, und auf dem haben immer die Buben gekickt. Ich habe darauf gewartet, dass ich auch mal mitmachen durfte. Wenn sie noch einen Mitspieler gebraucht haben, weil die Zahl ungerade ausfiel, waren sie gnädig. (lacht) Da habe ich zum ersten Mal an einen Ball gestaucht. Ich durfte noch öfter mitspielen, je nachdem, wie mitleidig die Jungs waren. Und ich habe es gerne gemacht. Wo es möglich war, bin ich mit den Buben auf die Gasse gegangen. Durch Fußball habe ich sogar meinen Mann kennengelernt. Das war im Freibad. Ich hatte einen Ball, er keinen. Er hat mich gefragt, ob er den mal haben darf. Ich hab’ gesagt: “Darfst du, aber nur, wenn ich mitspielen kann.” Ich war mit diesem Hobby alleine als Mädchen. Die anderen hat das nicht so fasziniert.
Sie sind eine der Pionierinnen des Frauenfußballs im Kreis Böblingen. Wie kam es eigentlich dazu?
Ich hab’ mich überhaupt sehr für Sport interessiert, aber meiner Mutter hat das nicht gefallen, die hat es mehr oder weniger verboten. Fußball konnte ich auf der Gasse spielen, ohne in den Verein zu gehen. Irgendwann habe ich dann mitgekriegt – das war, als wir in Esslingen wohnten und ich im Judo war -, dass ein Mädchen gesagt hat: “Ich geh’ ins Fußballtraining.” Da war es um mich geschehen. Bei Post Esslingen war das. Die meisten dort waren Frauen von fußballspielenden Männern, der Verein hat eine Frauen-Mannschaft erlaubt.
Und wie wurden Sie zur Funktionärin?
Das war eher nicht so geplant, da bin ich reingewachsen. Als Frauenfußball 1970 wieder erlaubt wurde, sind viele Mannschaften aus dem Boden geschossen. Das ging unwahrscheinlich los. Irgendwann habe ich damit angefangen mich für mein Hobby auch zu engagieren, habe geholfen, Trainings zu organisieren. Ganz offiziell wurde es, als ich geheiratet habe und nach Sindelfingen gezogen bin. Als unser damaliger Trainer Peter Dörich – auch dessen Frau hat Fußball gespielt – aufgehört hat, waren wir führungslos. Wir standen vor der Wahl: Entweder stellen wir den Spielbetrieb ein oder kümmern und selbst darum. Also haben wir entschlossen, wir lassen uns nicht unterkriegen und teilen die Arbeit auf. Das ging dann ganz einfach. Eine hat bei der Bank geschafft, die wurde Kassiererin. Eine konnte gut schreiben, die wurde Schriftführerin. Und zu mir hieß es: “Teddy, du hast die größte Klappe und kannst dich auch gegenüber Männern durchsetzen, du bist jetzt unsere Abteilungsleiterin.” Das hat gut funktioniert. Aus der Zeit gibt es so viele Geschichten.
Erzählen Sie doch mal eine.
Einige Jahre später waren wir schon sehr erfolgreich und spielten in der 1. Bundesliga. Trotzdem mussten wir immer um die Plätze in Sindelfingen streiten. Es hieß: “Geht ihr lieber stricken!” Oder: “Kochen könnt ihr besser als Fußballspielen.” Aber wir haben das einfach gerne gemacht und wollten das Beste rausholen. Irgendwann hat es uns so angepisst, dass wir wieder mal auf einen der trockenen, staubigen Hartplätze am Floschenstadion verbannt wurden. Da kam uns die zündende Idee. Wir haben einen Backstein in Geschenkpapier eingepackt und sind damit zum Oberbürgermeister. Der hat das ausgepackt und uns erstaunt angeschaut. Wir haben ihm gesagt: “Das ist das, was wir jedes Training einatmen müssen.” Der war so platt, aber hat nachgehakt, dass wir auf den Rasenplatz durften. Es gab sogar einen Erlass, dass es verpflichtend ist, dass wir den Rasenplatz bekommen müssen. Der OB hat Nägel mit Köpfen gemacht und das verankert, danach hatten wir erst recht einen guten Draht zu ihm.
Wie haben Sie die Reaktionen auf Ihre Initiative wahrgenommen?
Wir haben gegenüber Männern immer unsere Rechte erkämpfen müssen, egal um was es ging. Es war ein ständiger Kampf um die eigentlich natürlichsten und normalsten Rechte, wenn man Sport betreibt. Um jedes kleinste Ding. Die hätten am liebsten gesehen, wenn wir aufgegeben und gekocht und gestrickt hätten. Das können wir auch, aber wir können halt auch Fußball spielen. Wir waren schon selbstbewusst und haben deshalb nicht aufgegeben. Wir wollten den Männern doch nix wegnehmen, sondern nur unserem Hobby nachgehen. Wir hatten keine Hintergedanken.
Das war sicherlich ermüdend.
Aber ich war hartnäckig. In jeder Hinsicht. Ich hab’ eine gute Kickerin auf der Gass’ gesehen und gehört, die wohnt am Marktplatz. Also bin ich hin und habe alles abgeklingelt, um sie zu finden. Viele haben gesagt, ich soll verschwinden. Aber man musste um den Nachwuchs kämpfen. Denn die Eltern haben denen eingeredet, dass sie keine Kinder bekommen können oder krumme Beine kriegen, wenn sie mit Fußball anfangen.
Was hat sich seither in der Wahrnehmung des Frauenfußballs geändert?
Die Akzeptanz ist jetzt eher da. Aber unterschwellig herrscht in ganz vielen Männerköpfen die gleiche Denke vor, diese alten Muster sind noch da. Manchmal denke ich: Oh Mann, einer dieser ewig Gestrigen. Im Internet ist das auch schlimm. Da schreibt mal einer: “Wer Frauenfußball mag, hat einen an der Waffel.” Das kann doch nicht sein, wir leben im 20. Jahrhundert, wo seid ihr denn zurückgeblieben?
Artikel vom 05. November 2020 – 07:00
Von Michael Schwartz