Konsolidieren und den Kader auch ohne zahlreiche Leistungsträger breiter aufstellen
Die Nachrichten zuletzt von Fußball-Landesligist SV Böblingen verhießen nichts Gutes, zahlreiche Abgänge – allein drei Richtung VfL Sindelfingen – deuten auf einen regelrechten Ausverkauf. Doch ganz so schwarzsehen will Dr. Alexander Kayser nicht. Im Gegenteil.
Das Vorstandsmitglied der SV Böblingen, vor rund einem Jahr gewählt und dort gleich mit der Herkulesaufgabe betraut worden, die Fußballer in ruhigeres Fahrwasser zu führen, macht einen ganz zufriedenen Eindruck. Trotz der coronabedingten Fußballunterbrechung. Und trotz eines sich abzeichnenden Aderlasses, der noch keineswegs ganz aufgefangen ist. “Wichtig für uns sind auch andere Themen”, ist er stetig um eine Konsolidierung der in Schieflage geratenen Abteilung bemüht. Und die ist weiterhin nur in Trippelschritten möglich, mit kleineren Rückschlägen zwischendurch.

Der Status quo: Keine gemeinsamen Trainingseinheiten, keine Spiele – auch die SVB-Fußballer sind derzeit zur Untätigkeit verurteilt. “Ich gehe davon aus, dass die aktuelle Runde abgebrochen wird”, so Kayser. “Schön wäre es, wenn die neue Saison pünktlich beginnen wird.” Möglicherweise mit “Geisterspielen” bei den Amateuren? Sicher ist derzeit nur, dass nichts sicher ist.
Was den Vereinen im Umkehrschluss die Möglichkeit gibt, frühzeitig mit ihren Planungen zu beginnen, vielleicht sogar schon ersten Vollzug zu melden. Personell gibt’s bei den Böblingern sicher noch einige Baustellen zu schließen, “dafür haben wir immerhin den Haushaltsplan aufgestellt, sehr fundiert und umfangreich”. Vor allem unter der Prämisse: Wie kann man sich in der Landesliga einen 21-Mann-Kader leisten? War doch die viel zu kurze Decke für Noch-Trainer Thomas Siegmund ein ständiger Begleiter und gleichzeitiges Ärgernis in den vergangenen Spielzeiten. Damit hat sich Dominik Mast, von Kayser erst geholt, um Licht ins Dickicht der Finanzen zu bringen, auch schon wieder verabschiedet. “Seine Arbeit ist getan, jetzt brauchen wir jemanden, der beispielsweise die Konten pflegt”, ist er einmal mehr auf der Suche. Fazit von Mast nach getaner Arbeit: “Ich bin zufrieden mit der Restrukturierung, aber nicht zufrieden mit dem, was da drinsteht.”
Positiv dafür: Seit Ende vergangenen Jahres wurden alle Aktivitäten in Sachen Sponsoring, die zuvor mit Bandenwerbung, Programmheft und Broschüren arg zerfleddert erschienen, in einer Hand gebündelt. Seither kümmert sich vornehmlich Kornelije Casni darum, hat auch im Februar ein “tolles Konzept” (Kayser) auf die Beine gestellt. “Doch als wir damit loslegen wollten, wurden wir durch Corona ausgebremst.” Der Zeitpunkt, um auslaufende Sponsorenverträge zu verlängern, ist gerade nicht der günstigste, die Firmen haben drängendere Probleme. “Wir haben entschieden, im Juni, Juli noch einmal auf unsere Partner zuzugehen, wollen das zusammen mit ihnen und mit dem nötigen Augenmaß entschieden.”

Die finanzielle Struktur: Vorgefunden hatte Alexander Kayser vor einem Jahr einen Fehlbetrag von rund 150 000 Euro – große Sprünge waren da nicht möglich. “Wir haben langsam angefangen, den Trend in die richtige Richtung zu verändern”, zeigt er sich nach den ersten zwölf Minuten weiter unverdrossen. “In den Jahren davor sind immer 20 000 oder sogar 30 000 Euro oben draufgekommen”, beschreibt er den stetig wachsenden Schuldenberg. “Das konnten wir in dieser Spielzeit verhindern – und das betrachte ich angesichts der nicht einfachen Voraussetzungen bereits als Erfolg.” Denn klar ist für ihn auch: “Es wird bestimmt keine Vereine geben, die aus dieser Spielzeit mit einem Plus rausgehen.”
Seit Oktober sind keine neuen Fehlbeträge in der Bilanz dazugekommen (“ein neuer Großsponsor hat uns Luft verschafft”), auf der Habenseite gibt es aber seit Februar auch so gut wie keine Einnahmen mehr. Seither erhalten die Spieler keine Aufwandsentschädigungen mehr. “Wir haben sie eingefroren”, stellt Kayser die Notwendigkeit klar. “Es ging nicht darum, dass wir uns ein Polster verschaffen oder Rücklagen bilden.” Wichtig war einzig und allein, nicht erneut in die roten Zahlen abzurutschen. Er sagt aber auch: “Das war eine harte Entscheidung, denn die Jungs können ja nichts dafür, sind – wie alle anderen auch – unverschuldet in diese Situation geraten.” Und doch war das Verständnis bei einem Online-Mannschaftsabend in dieser Woche groß. “Die Spieler haben sich geschlossen hinter den Verein gestellt, auch jene, die uns verlassen werden.”

Die Personalplanungen: “Natürlich tut das weh”, räumt Alexander Kayser ein. Erst Torhüter Dominik Traub, dann der feine Techniker Endrit Syla und zum Schluss auch noch das hoffnungsvolle Eigengewächs Alban Dodoli: Alle drei wechseln auf die andere Seite der Autobahn zum VfL Sindelfingen. Nimmt man noch Marc Hetzel und Youngster Gjon Karrica aus der vergangenen Saison dazu, sind es schon fünf Böblinger, die innerhalb eines Dreivierteljahres der SVB Lebewohl sagten und sich für den VfL entschieden. Früher hätte das für einen Aufschrei gesorgt, heute geht Alexander Kayser das Ganze realistisch an. “Die Jungs sehen für sich in der Verbandsliga die bessere Perspektive. Der VfL Sindelfingen kann ihnen dazu mehr bieten, dort herrschte zuletzt auch nicht ein solches Durcheinander wie bei uns”, blickt er auf die vergangenen Monate zurück. Und sieht das auch als Ansporn: “Wir werden zwar besser, aber da, wo der VfL schon ist, müssen wir erst hinkommen.” Sicher ist für ihn aber auch: “Wir verlieren echte Leistungsträger und tolle Typen, Sindelfingen kann sich freuen.”
Damit aber nicht genug. Max Frölich, vielleicht der beste Innenverteidiger der Landesliga, entschied sich aus familiären Gründen für den VfL Nagold (Kayser: “Natürlich hätten wir ihn gerne behalten, aber man muss auch anerkennen, dass Nagold ein Verein mit guten Perspektiven ist”), Mert Kizilagil schließt sich dem Türk SV Herrenberg an, und Rückkehrer Marko Matovina bricht seine Zelte bei der SVB bereits wieder ab. “Er wäre sicher geblieben, wenn er eine super Rückrunde gespielt hätte, wovon ich überzeugt war. Aber Corona hat das verhindert.”
Dazu kommen Spieler wie Daniel Fredel, Abdoul Goffar Tchagbele und Timo Kühnel, die vor allem aus beruflichen Gründen viele Trainingseinheiten verpassten, oft nur bei den Spielen zur Verfügung standen oder auf den letzten Drücker aus dem Hut gezaubert wurden. “Wir wollen nicht nur gute Fußballer”, lässt Kayser durchblicken, “sondern ein stimmiges Team mit guten Fußballern drin.” Im Klartext: “Wenn ich sage, dass wir uns professioneller aufstellen wollen, dann gehört für mich ganz eindeutig auch die Trainingsbeteiligung dazu.” Und deshalb werden die Vereinbarungen mit den Spielern sehr viel flexibler gestaltet, vor allem aber leistungsbezogener.
Die Stützen heißen auch weiterhin Fabian Schragner, Daniel Knoll und Sascha Raich, auch Simon Lechleitner, Florian Mayer und Tayfun Sener haben sich inzwischen ein gewisses Standing im Team erarbeitet. Vor allem der immer wieder verletzte Dejan Djordjevic profitiert von der regelmäßigen Anwesenheit eines Physiotherapeuten, mit Philip Matz steht ein starker Torhüter zur Verfügung, ein zweiter soll noch geholt werden, aus Holzgerlingen kommen der erfahrene Scott Rogers und der junge Marco Quaranta, mit Bjarne Hamann und Ferdinand Schmidt zieht die SVB zwei große Talente aus der eigenen U19 nach oben. Womit die gleiche Kaderstärke wie zuletzt aber noch nicht erreicht ist – und die war auch schon eher viel zu klein. “Mit zwei drei Spielern stehen wir in aussichtsreichen Gesprächen”, lässt Kayser durchblicken, setzt dabei vor allem auf die Zugkraft des künftigen Trainers Enzo Marchese, dazu sollen weitere vielversprechende Jungspunde kommen. “Spieler, die etwas reißen wollen, können sich bei uns beweisen”, so Kayser. “Wir haben zwar Qualität abgegeben. Ich bin aber überzeugt, dass unser Kader genauso gut wird wie davor. Dazu wollen wir noch eine Schippe draufpacken und uns vor allem breiter aufstellen.” Damit das gelingt, stecken derzeit vor allem Marchese, der neue Co-Trainer Timo Gmoser und Spielleiter Thomas Hahn fast ständig die Köpfe zusammen. “Ein innovatives Trio” (Kayser).

Der Corona-Plan: Nur untätig darauf zu warten, bis die Corona-Pandemie vorübergeht und alles seinen gewohnten Gang nimmt, wann immer das sein wird, ist nicht das Ding von Alexander Kayser und seinen Mitstreitern. Marketingmann Korneljie Casni hat über die sozialen Medien eine Spendenaktion gestartet, dazu wird ein Brief verschickt an die bisherigen Unterstützer. Die Idee dahinter: Bei Eingang eines gewissen Geldbetrags gibt es im Gegenzug ein blaues Dankeschön-Banner im Stadion. “Und jeder Förderer entscheidet selbst, was draufsteht.”
Außerdem hat Kayser selbst, Doktor im Ingenieurwesen und deutschlandweit als Berater unterwegs, ein semesterbegleitendes Projekt mit Studenten der Sportmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart gestartet, “das sich mit der Geschichte des SVB-Fußballs beschäftigt”. Seine Hoffnung: “Neue Einblicke, aber auch neue Ideen.”

Quelle: Kreiszeitung Böblingen