Straßenfußballer, Bolzplatzkicker, Sohlenfopper oder doch Edeltechniker: Bei Endrit Syla von der SV Böblingen liegt man mit allem richtig. Das runde Leder ist für ihn kein Fremdkörper, der 23-Jährige besitzt ein ganz feines Füßchen. Eigentlich wäre er damit ein typischer “Zehner”, aber seine Trikotnummer 14 hat er mit Bedacht gewählt.
“Thierry Henry war mein Lieblingsspieler”, lüftet er das Geheimnis, “ich war deshalb auch großer Arsenal-Anhänger.” Vor zehn Jahren, als kleiner Steppke, hat er in seiner Heimat im Kosovo den schnellen und trickreichen Franzosen zum ersten Mal im Fernsehen gesehen, war hin und weg. Henry trug die “14” auf dem Rücken, diese Nummer wollte der kleine Endrit auch, als er mit fünf anfing, Fußball zu spielen. “Johann Cruyff und Xabi Alonso hatten ebenfalls die 14, beides ganz feine Kicker.” Auch auf seinem Handy prangt die “14” drauf. Unübersehbar.
Als er vor der Runde nach Böblingen kam, hatte er Glück, dass Cedric Hornung den Verein verließ. Und die “14” damit zu haben war. “Da habe ich zugegriffen.” Eine gute Wahl, genau wie seine Verpflichtung für die SVB. “Mit Thomas Siegmund hatte ich schon drei Jahre Kontakt”, lässt er durchblicken. “Ein super Trainer, sehr zielstrebig. Hoffentlich hört er nach der Saison nicht auf, sondern macht weiter.” Warum er so gut klarkommt mit ihm? “Er lässt mir die Freiheiten, die ich brauche.” Auch Siegmund weiß, was er an seinem Vierzehner hat. “Mir war bewusst, was für einen Spieler wir mit ihm bekommen. Er besitzt Qualitäten, die ihn von vielen anderen unterscheiden.” Dabei will er ihn gar nicht über den grünen Klee loben. “Teilweise war es sehr gut, teilweise aber auch nicht”, bleibt er kritisch. “Fünf Monate sind zu kurz, um das abschließend zu beurteilen.”
Die Zahlen sprechen für sich. Zehn Tore, 16 Vorlagen. Allein für Kapitän Fabian Schragner, eigentlich ein umfunktionierter Innenverteidiger, hat er sechs seiner sieben Treffer aufgelegt. Eine starke Quote. “Dabei war ich zu Saisonbeginn verletzt und habe in den letzten fünf Wochen trotz Leistenzerrung gespielt.” Da ist also noch Luft nach oben, bei ihm und bei der Mannschaft. “Dass wir trotz vieler Probleme und eines kleinen Kaders Vierter sind, ist beachtlich. Ich hoffe, dass in der Winterpause ein paar Spieler dazukommen.” Die Gespräche laufen, es soll auch gut aussehen. Deshalb will Syla im neuen Jahr angreifen. “Platz eins ist noch möglich, ich möchte aufsteigen. Nur die 1:4-Niederlage in Ehningen war verdient, in allen anderen Spielen war mehr drin.”
Dass einer wie er in Böblingen spielt, wäre vor einigen Jahre noch schwer vorstellbar gewesen. Denn Endrit Syla ist ein Sindelfinger, ein VfLer. Sein Vater starb, als er zwei Jahre alt war, er wuchs im Kosovo bei Oma und Opa auf, verbrachte schon dort viel Zeit auf dem Bolzplatz, wurde von seinem Onkel adoptiert, der schon lange in Deutschland lebte, und kam mit (Achtung!) 14 nach Sindelfingen, wohnt dort nur einen Steinwurf weg vom Floschenstadion. “Es war eine schöne Zeit beim VfL”, blickt er ohne Groll zurück. “Ich habe mit 18 in der Verbandsliga gespielt, schaue auch heute noch gerne zu, der Verein liegt mir am Herzen.” Er hat sein Abitur in der Tasche und macht jetzt eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. “Maik Schütt war ein Top-Trainer, hat mich auch gefördert. Wir gratulieren uns heute noch gegenseitig zum Geburtstag.” Warum es doch nicht funktionierte? “Ich war ein junger Spieler, hatte nicht das Standing wie jetzt in Böblingen.”
Die Stutzen werden abgeschnitten, Schienbeinschoner braucht er nicht
Deshalb ging er zu Verbandsliga-Konkurrent Calcio Leinfelden-Echterdingen auf die Fildern. 28-Mann-Kader, darunter herausragende Fußballer, aber viele eigenwillige Persönlichkeiten. “Eine Entscheidung, die ich nicht bereue. Ich habe auch dort viel gelernt.” Nur mit seinen wenigen Spielzeiten kam er nicht klar. “Und einer wie ich, der den Fußball so liebt, kann damit nicht zufrieden sein.” Deshalb kam der Anruf von Thomas Siegmund gerade recht.
Und diesmal klappte es auch. “Ein Vollblutfußballer”, so Siegmund über Syla, der, wenn er den Ball hat, ihn am liebsten gar nicht mehr hergeben möchte. Eine “gute Technik”, bescheinigt sich der 23-Jährige selbst, überdurchschnittlich wäre wahrscheinlich der passendere Begriff und immer noch leicht untertrieben. Oft rücken ihm gleich zwei Gegenspieler auf die Pelle, die er mit überraschenden Wendungen links liegen lässt. “Ich will meine Kreativität ausleben”, sagt er über sich. “Mir gelingen Sachen, die vielleicht nicht alle hinkriegen. Mit manchen kann ich mich aber auch zum Affen machen, wenn sie nicht klappen.” Herausragend sind seine zwei Volltreffer von der Mittellinie. Beim 4:0 in Tübingen überlistete er den gegnerischen Torhüter genauso aus fast 50 Metern Entfernung wie beim 5:0 in Nagold. “Ich habe halt ein Auge für das gesamte Spiel, entscheide mich blitzschnell und instinktiv.” Und mit einem Schmunzeln: “Manchmal bin ich selbst von mir überrascht.”
Am vergangenen Wochenende kickte er nach dem kräftezehrenden 2:2 in Bösingen nur 24 Stunden später bei der zweiten SVB-Mannschaft, trug sich beim 3:0 gegen Rohrau II in die Torschützenliste ein. “Erste und Zweite gehören für mich zusammen, da bin ich mir nicht zu schade. Wie übrigens Tim Kühnel und Leon Baumeister auch.” Zusammenhalt ist für ihn wichtig, die gemeinsame Weihnachtsfeier hat er genossen. Und er registriert mit Wohlgefallen, dass seit dem Einstieg von Alexander Kayser in der Fußballabteilung auch hinter den Kulissen wieder einiges in Bewegung gekommen ist, eine Baustelle nach der anderen beackert wird. Die kleinen Fortschritte sind unübersehbar, nach dem tollen 5:0 in Nagold bekamen die Spieler einen Therme-Besuch spendiert. Anderes Beispiel: Gerade mal vier Fans saßen vor vier Wochen im Bus nach Nagold und fuhren gemeinsam mit der Mannschaft in den Schwarzwald. Überschaubare 30 Kilometer. “Zuletzt in Bösingen waren dafür nur noch drei Plätze frei”, sieht er auch da, dass es in die richtige Richtung geht. Dass die Rückendeckung größer wird.
Endrit Syla ist trotz seiner jungen Jahre ein reflektierter Kerl. Heftige Ausschreitungen wie bei zwei Spielen der albanischen Mannschaft Isa Boletini Sindelfingen, darunter einmal gegen einen serbischen Schiedsrichter, verurteilt er aufs Schärfste. “Fußball ist Fußball, und Politik ist etwas anderes. Gegen einen Schiedsrichter in der untersten Spielklasse, der hier seine Freizeit opfert, handgreiflich zu werden, ist unerträglich.” Sein Motto deshalb: “Hass mit Liebe bekämpfen.”
Ein bisschen verrückt ist Endrit Syla schon, im positiven Sinne. Auch Betreuer Rolf Kowalczyk verdreht bei ihm ganz gerne die Augen. “Er schneidet den unteren Teil der Stutzen ab”, schüttelt er nur den Kopf. Da muss Syla lachen. “Das machen viele, mir wird es sonst im Kickstiefel zu eng.” Genauso hält er es mit Schienbeinschonern, die eigentlich Pflicht sind. Er lässt sie weg, obwohl er aufgrund seiner Spielweise öfters eine auf die Socken bekommt, stopft sich statt dessen alte Einlagen von Schuhen rein. “Das ist bequemer.”
Sein feines Füßchen braucht einfach Bewegungsfreiheit.
Quelle:Kreiszeitung Böblingen