Fußball: Eigentlich wollte Evelyn Klumpp bei den Frauen der SV Böblingen aussteigen, aber die 68-Jährige ist immer noch am Ball und drückt den Neustart-Knopf

Man könnte meinen, alles ist gut und so wie immer. Das blaue Busle hält am Silberweg. Evelyn Klumpp steigt aus, wirft die Tasche über die Schulter und marschiert am Kunstrasen vorbei. Sie schließt den Baucontainer auf, setzt sich auf die Bierbank, dreht die Heizung hoch. Dann aber sagt „Teddy“, wie sie alle nennen: „Dass ich überhaupt hier sitze, ist das Problem.“

Die Meisterwimpel an der Wand und die Pokale auf dem Schrank erzählen eigentlich die Erfolgsgeschichte der jungen Böblinger Fußball-Sparte. In die Wiege gelegt hatte sie eben diese Evelyn Klumpp, die den Frauenfußball im Kreis Böblingen wie keine andere verkörpert. Im Juli 2006 hatte sie das erste Mädchen-Fußballcamp auf die Beine gestellt. Anderthalb Jahre später spielten 100 Mädchen oder Frauen für die SVB Fußball.

Die erste Mannschaft schoss sich mit Spielerinnen wie Tanja Coblenzer, Natalie Drachsler oder Evelyns Tochter Deborah durch die Ligen, klopfte mit aller Kraft 2012/13 an die Tür zur Oberliga an, scheiterte wegen eines Pünktchens am Aufstieg. Die Jugend war breit aufgestellt, Talente wie Ivana Fuso oder Greta Stegemann standen für eine große Zukunft. Gefühlt war die SVB drauf und dran, am Sockel des großen Nachbarn VfL Sindelfingen zu kratzen.

Heute sieht das anders aus. „Katastrophe. Wir fangen wieder bei Adam und Eva an“, sagt Evelyn Klumpp. Siebte Liga. Letzter Platz. Zwei Unentschieden in 14 Spielen, beides Nullnummern gegen Grafenau und Glatten, mehr war nicht drin. Im Schnitt kassiert die Schießbude der Regionenliga vier Gegentore, so auch zuletzt bei der 1:4-Niederlage beim SV Glatten. Die Rote Laterne leuchtet am Silberweg. Die stolze SVB reiht sich weit hinter Herrenberg, Gechingen, Aldingen, Grafenau, Nufringen oder Neubulach ein.

Mit all dem wollte Evelyn Klumpp nichts mehr zu tun haben. Ihren Rücktritt hatte sie schon im November 2015 angekündigt, wollte sich zurücklehnen, sich um ihre beiden Hunde kümmern. Und um das Projekt, das rumänischen Straßenhunden hilft. Hierfür hatte es zum Abschied bereits das passende Geld-Geschenk gegeben. „Das war total süß von den Mädels und der Abteilung.“ Das Team außen funktionierte. Jupp Stegemann, Dirk Hecker, Uwe Bahr oder Klaus Drachsler bewegten Bälle und Steine. Von der E- bis zur B-Jugend waren alle Jahrgänge besetzt, zum Teil sogar doppelt.

Doch dann kam eben doch alles anders. Von geordneten Verhältnissen, die Evelyn Klumpp gerne hinterlassen hätte, konnte man nicht mehr reden. Sowieso ging es im Böblinger Fußball drunter und drüber. Die Hauptversammlung 2016, auf der ein neuer Spartenleiter ausgerufen werden sollte, wurde um ein halbes Jahr verschoben. Erst war kein Interessent da, dann sprang einer kurz vor Toreschluss ab. Gründe seien „interne Zerwürfnisse gewesen“, in der Frauen-Abteilung gab es Schuldzuweisungen und Eitelkeiten. Evelyn Klumpp will heute „keine schmutzige Wäsche waschen. Das bringt denen nichts, die bei der Stange bleiben.“

Der Abteilung liefen die Spielerinnen davon, vor allem in der Breite. Ivana Fuso und Greta Stegemann hier als Musterbeispiele zu nennen, wäre vermessen. Denn deren Weg zeigt steil nach oben, weshalb sie jetzt in Freiburg angekommen sind und auch für Deutschland spielen. Wohin die Reise dieser Talente geht, scheint offen. Aber sie stehen dafür, was von Böblingen aus möglich wäre. Richten soll es wieder Evelyn Klumpp, die kommissarisch an der Spitze bleibt, weil sich sonst niemand zur Wahl stellte.

Irgendwie scheint das exemplarisch für den Frauenfußball zu stehen, der noch immer seine Rolle sucht. „Akzeptanz gibt es für die Nationalmannschaft, vielleicht noch für die beiden höchsten Ligen. Aber viele Vorurteile haben sich noch immer gehalten. Nicht einmal eigene Kabinen für die Mädchen sind selbstverständlich. Und den Hut setzt sich auch keiner auf“, sagt die 68-Jährige, die weiß, wie sich die Zeit entwickelte.

Damals hatte sie mit einer Handvoll Freundinnen zu einer Zeit angefangen, als der Fußball für Frauen tatsächlich noch verboten war. Damals, 1969, irgendwo auf der Ecke eines Trainingsplatzes des VfL Post Esslingen. Die Liebe zum Ball ist geblieben, hat sie über Umwege 1973 zum VfL Sindelfingen gebracht, wo sie mit dem Gewichtheber Peter Dörich „einen ganz tollen Trainer bekam“, der über Tellergrenzen hinaus blickte und Grenzen sprengte.

Die Geschichte des Sindelfinger Frauenfußballs hat sie trotz ein paar Gastspielen bei anderen Vereinen über Jahrzehnte hinweg mitgeprägt. Sei es als Spielerin – „ich war so ein Hacki-Wimmer-Typ“ – , als spielende Abteilungsleiterin oder solo als Frau an der Spitze. Auf dem Platz nahm sie nach ihrer Rückkehr 1983 mit dem VfL Meisterschaften ins Visier, schoss bis 1986 in der ersten, dann nach der Babypause in der zweiten und sporadisch der dritten Mannschaft 110 Tore in rund 400 Spielen.

Mit ihr als Funktionärin war Sindelfingen 1990 Bundesliga-Gründungsmitglied. Im Tor stand mit Elke Walther eine Nationalspielerin, die im Floschenstadion beim 8:0 gegen Kroatien ein Heimspiel hatte, ausgerichtet vom VfL Sindelfingen. Der Verein brachte unter ihrer Führung große Namen raus, allen voran die spätere Vize-Weltmeisterin Anouschka Bernhard, die heute die deutsche U17 trainiert.

Mit Beginn der Ära Althaus ging die von Evelyn Klumpp in Sindelfingen dem Ende entgegen. Aber wie man den Ball ins Rollen bringt, hatte sie gelernt und bewies es nach ein paar Jährchen Pause in Böblingen ein zweites Mal. Jetzt sagt sie: „Wir fangen hier schon wieder von vorne an.“ Im Alter von 68 Jahren. Auch wenn es schwer fällt, aber die Mädchen seien es wert.

Gründe? Bessere Vorbilder als die Frauen aus der ersten Mannschaft könne es nicht geben. „So treu, bei Wind und Wetter, trotz jeder Niederlage. Da kann man nicht davonlaufen“, sagt Evelyn Klumpp. Oder die B-Juniorinnen, die „konzentriert trainieren und Spaß haben“. Kraft geben auch die leuchtenden Augen der E-Mädchen, die sie in ihrer kurzen Auszeit bei der SVB besuchte und die sie mit „Hallo Teddy“ begrüßten. „Das war so ein Moment, in dem man nicht bereut, was man tut“, sagt Evelyn Klumpp – und würde trotzdem so gerne loslassen.

Info

Am Sonntag spielen die Fußballfrauen der SV Böblingen in der Regionenliga um 12.30 Uhr gegen die SGM Herrenzimmern/Villingendorf

Evelyn Klumpp: immer noch am Ball. Dabei hatte die 68-Jährige das Kapitel als Spartenleiterin der Böblinger Fußball-Frauen schon abgeschlossen. Die Suche nach einem Nachfolger geht weiter. Bild: Wegner

Von unserem Redakteur Jürgen Wegner

Quelle: szbz.de